Cochlea Implantate
1. Einleitung
Cochlea Implantate haben sich in den letzten Jahren zur erfolgreichsten neuronalen Prothese entwickelt. Nach Schätzung der FDA im Jahr 2011 hatten bereits über 220.000 Patienten ein derartiges Gerät erhalten und viele erlangen damit ein offenes Sprachverstehen. Manche Patienten können sogar das Telefon benutzen und etwa 50% der Kinder besuchen normale Schulen, zumindest Grundschulen. Wie kam es zu dieser technischen Entwicklung, die Taube wieder hören lassen kann? Auf die Historie, den technischen Aufbau, Chancen und Probleme soll im folgenden eingegangen werden.
2. Ein wenig zur Geschichte
Um das Jahr 1780 machte Volta die bedeutende Entdeckung, daß Zellen auf elektrische
Signale reagieren. Er berichtet von einem gewagten Selbstversuch, bei dem er sich zwei
Elektroden in den Gehörgang steckte und mit einer 50V Spannungsquelle verband. Er
hörte einen Boom im Kopf - der Anfang der Cochlea Implantate?
Bereits 1868 veröffentlichte Brenner gezielte Studien zur Plazierung von Elektroden
und Wever und Gray entdecken 1930, daß die Pulse im Hörnerven auf Amplitude und
Frequenz
von Tönen reagieren. Vor 50 Jahren wurde die Forschung stark intensiviert und 1971
(Michaelson) bzw. 1976 (House) wurden die ersten Cochlea Implantate ähnlich den
heutigen implantiert. Sie bestehen aus zwei Komponenten: einer permanent implantierten
Elektrode mit Stimulator und einem externen Prozessor, der die Information und die
Stimulationsenergie über eine transkutane Verbindung mittels Hochfrequenz
an den implantierten Teil überträgt. Die ersten Geräte waren einkanalig
und konnten daher
nur an einem bestimmten Ort in der Cochlea stimulieren. Abb. 1 zeigt schematisch die
Signalverarbeitung, die im wesentlichen nur aus einem Bandpassfilter besteht.
Trotz des einkanaligen Ansatzes waren 15-85% Wortidentifikation möglich (Tyler,
1988). Die folgende Demonstration verdeutlicht die starke Informationsreduktion - ein
offenes Sprachverstehen ist kaum möglich.
Audiodemonstration zu einkanaligen Implantaten:
Simulation (290kB);
Original (598kB).
Abb. 1: Signalverarbeitung im einkanaligen Vienna/3M Implantat, das sich vom House/3M-Implantat durch zusätzliche Dynamikkompression (AGC) und eine Stufe zur Demodulation der HF-Trägerfrequenz unterscheidet.
3. Mehrkanalimplantate
Auch wenn mehr als 1000 Patienten derartige einkanalige Implantate erhalten haben,
wird beim Anhören des Audiobeispiels schnell klar, daß dies nur ein erster
Schritt sein konnte - wohl besser als völlige Taubheit, aber bei weitem nicht
ausreichend zur freien Kommunikation. Wie kann mehr Information übertragen werden?
Die Cochlea führt eine Spektraltransformation durch, bei der den Frequenzen monoton
steigend ein Ort zugewiesen wird. Wenn es nun gelingt, den Hörnerven an
verschiedenen Orten zu stimulieren, kann theoretisch parallel Information zu
verschiedenen Frequenzen übermittelt werden. Abb. 2 zeigt die Signalverarbeitung für
die einfache, aber sehr erfolgreiche mehrkanalige CIS-Strategie. Nach einer Pegelkompression
durchläuft das Schallsignal eine Bandpassfilterbank, die durch eine logarithmische
Frequenzaufteilung an die des Gehörs angepaßt ist (siehe dazu ein Artikel über
Maskierung). Aus dem Bandpasssignal wird die Hüllkurve
extrahiert, deren komprimierte Amplitude den Strom der Stimulationspulse vorgibt.
Die Pulse werden in den meisten heutigen Implantaten zu fest vorgegebenen Zeitpunkten abwechselnd auf
die 12-24 Elektroden gegeben. Die folgende Audiodemonstration simuliert diese Vorverarbeitung
und im Vergleich zum einkanaligen Implantat ist deutlich gesteigertes Sprachverstehen
möglich. Tatsächlich erreichen viele Patienten an die 100% Satzverstehen in Ruhe.
Audiodemonstration zu mehrkanaligen Implantaten:
Simulation (298kB);
Original (598kB).
Abb. 2: Signalverarbeitung der verbreiteten CIS Strategie: Die Stimulation an den Elektroden erfolgt mit Impulsen, deren Amplitude von der Hüllkurve des Bandpass-gefilterten Schallsignals abhängt.
4. Herausforderungen
Eine der größten Herausforderungen ist damit verbunden, daß eine höhere Anzahl von
Elektroden nicht notwendigerweise mehr Informationsübertragung bedeutet, da das
elektrische Feld der Elektroden in der Cochlea relativ breit ist. Damit überlappen und
interagieren die Felder der einzelnen Elektroden und eine gezielte Stimulation von nur
wenigen Fasern im Hörnerven ist kaum möglich. Aktuelle Cochlea Implantate reduzieren
die Elektrodeninteraktion durch serielle Stimulation oder zumindest durch
gleichzeitige Stimulation nur weit entfernter Elektroden. Derzeitige Cochlea Implantate
erzielen eine Informationsübertragung auf etwa 8-10 unabhängigen Kanälen.
Normal hörende Personen können sehr kleine Änderungen in der Frequenz von Tönen
wahrnehmen und die Tonhöhe bildet für sie eine der stärksten Informationsquellen
zur Trennung von gleichzeitigen Schallen, beispielsweise von zwei simultanen
Sprechern. Die Tonhöhenwahrnehmung und -unterscheidbarkeit ist dagegen mit aktuellen Implantaten
sehr eingeschränkt. Ursache dafür ist zum einen die geringe Anzahl an stimulierbaren
Orten in der Cochlea, zum anderen auch die nur eingeschränkte Nutzbarkeit der
Ratentonhöhe. Neue Stimulationsstrategien werden gezielt die zeitliche Lage und Rate
der Stimulationspulse ausnutzen, um die Tonhöhenwahrnehmung zu verbessern. Dies
könnte auch der Freude der Patienten am Musikhören zugute kommen, denn wie die
Demonstration weiter unten zeigt, können momentan nur grobe Melodieverläufe, sowie der
allgemeine Rhythmus erkannt werden.
Neben der Frequenzwahrnehmung ermöglicht uns das binaurale Hören eine deutlich
verbesserte Trennung von simultanen Schallquellen, sofern sie aus verschiedenen Richtungen kommen.
Es gibt bereits einige wenige bilateral implantierte Patienten und obwohl die
Stimulationsstrategien auf die monaurale Wiedergabe von Sprache ausgelegt sind,
können einige wenige Patienten ausgezeichnet Schallrichtungen lokalisieren. In Situationen
mit mehreren Schallquellen reicht die Information zur Trennung dieser jedoch nicht
mehr aus und die Richtungswahrnehmung bricht zusammen. Eine Möglichkeit zur
Verbesserung des binauralen Hörens wird die Kodierung interauraler Phaseninformation
sein.
Audiodemonstration zu Musik mit mehrkanaligen Implantaten:
Simulation (821kB);
Original (1.6MB).